Islam, Islamismus … und Europa

Vortrag 19.10.11 – ein Rückblick

„Die Moscheegemeinden sollen sich der Menschenwürde und den ‚Allgemeinen Menschenrechten‘ verpflichten. Deren Träger und Verteidiger sollten sie sein, und gleich den Kirchen der gesellschaftlichen Pflicht durch eine Trennung von Religion und Staat nachkommen“; „Imame haben in Deutschland nicht Friedensrichter oder Mitgestalter einer ‚muslimischen Parallelgesellschaft‘ zu sein, sondern sollen Friedensboten des Islam und nicht Spaltpilze sein“. Solche Thesen und Forderungen waren am Themenabend über „Islam, Islamismus und Europa“ von Pastoralreferent Josef Eisend zu hören. Zum Vortrag am 19. Oktober 2011 ins Wieslocher Gemeindehaus St. Laurentius eingeladen hatte das Kath.Dekanat Wiesloch. Eingefunden hatte sich eine aufmerksame und diskussionsfreudige Runde, um über Mohammends Leben und Wirkung damals wie heute beim „arabischen Frühling“ ins Gespräch zu kommen. Dem Referenten war es ein Anliegen, Mohammeds widersprüchliche Lebensgeschichte genauso wie die geschichtliche Entwicklung und kulturelle Leistung des Islam mit Bildern zu veranschaulichen, um dessen historische Bedeutung und weltgesellschaftliche Gewichtung heute herauszustellen wie wertzuschätzen. Eisend’s Meinung nach ist dafür maßgebend, das islamische Menschenbild und die „Umma“ mit ihrem weltweiten Solidaritätsgefühl von Einheit und Gemeinschaft bei allen Moslems zu verstehen. Mohammeds Berufung und seine unterschiedliche bis widersprüchliche Biografie von einst offenbaren heute manche „Früchte“ – von der Friedensbotschaft bis hin zum Gewalteinsatz. Mohammends Leben in Mekka und Medina sowie die entsprechenden Suren im Koran machen dies verständlich. Sein Wirken war in Mekka noch stark von christlichem Gedankengut und einer kritischen Botschaft wider Reichtum und Vielgötterei gezeichnet. Diese Lebenshaltung als Prophet, Streitschlichter und Stammesführer wechselte und veränderte sich aber, als er aufgrund der „Hedschra“ 622 nach Medina auswanderte und vom friedliebenden Propheten auch zum gewalttätigen Heerführer wurde. Jetzt agierte er als Gesetzgeber, Richter und Feldherr seiner islamischen Glaubensgemeinschaft „Umma“ mit allen Mitteln. Entsprechend sind die medianischen Suren des Korans meist konkret, belehrend und konfliktbetont. Eine Glaubenshaltung und Gemeinschaftsgestaltung, die dem späteren Blitzaufstieg der Muslime zum Erfolg diente. Dass dies einer Trennung von „Umma“ und Staat, Religion und Welt nicht zuließ, ist das islamische Manko heute. So ergaben sich in der morgendländischen Entwicklung des Islam und der abendländischen des Christentums grundlegende Unterschiede. Das Einheits-Gefühl gleich der „Umma“ ist dem Christentum durch Herrschaftsansprüche und Konfessionalität verloren gegangen. Hier differenzierte sich im Laufe von Jahrhunderten gesellschaftliches Leben stetig im Ringen um die Vormachtstellung von Staat und Kirche auf. Das Denken mittels menschlicher Vernunft bei Wissen und Glauben prägte zusehends abendländisches Bewusstsein. Die Renaissance brachte letztlich der „Welt“ Aufklärung und eine volksgemäße Gesellschaftsgestaltung. Dem haben wir heute letztlich auch unser Freiheitsverständnis und den demokratischen und sozialen Rechtstaat zu verdanken.

Für den Islam hingegen bahnte sich durch die „Hedschra“ nach Medina (622) eine erfolgreiche militärische und kulturelle Expansion an. Das „Goldene Zeitalter des Islam“ (8. bis 12.Jh) und das „osmanische Reich“ (bis 1923) sind Höhepunkte, die islamische Identität jahrhundertelang prägten. Kalifen der arabischen Länder schufen ein Weltreich, das erst vor Südfrankreich und fast 1000 Jahre später, vor Wien zum Ende seiner Ausdehnung kam. Heute hingegen sehen wir weltweit ein Erstarken des Islam, teils im Islamismus, und erleben so auch ein „Neuerwachen“ im Spannungsfeld zwischen „arabischem Frühling“ und „islamistischem Herbst“. Für Eisend haben seit Jahresbeginn 2011 dabei Hoffnungen nicht selten „grund- und bodenlos euphorisch“ geklungen, bis hin zum amerikanischen Präsidenten Barak Obama, der den „arabischen Frühling“ im Mai mit der amerikanischen Revolution verglich. Denn unterschiedlich sind die von der Revolution betroffenen arabischen Länder bisher durch Islam und Despotien geprägt worden. Zwar mag die großteils studierte, oftmals aber arbeitslose Jugend nicht mehr viel von Religion halten, und die Moderne mit Technik und Wohlstand sind Ziele deren Streben nach Demokratie und teils westlichen Werten. Doch das Wahl-Volk besteht z.B. in Ägypten nicht nur aus den Revolutionären des Tahir-Platzes und der Straßenkämpfe, sondern auch aus der teils armen und wenig gebildeten Bevölkerung auf dem Land. Und die wiederholten Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Islamisten zeugen von anderen Werten. Zu bedenken ist, der „Allgemeinen Menschenrechtserklärung“ von 1948 wurde fast 40 Jahre später die Kairoer „Menschenrechtserklärung für den Islam“ der OIC-Staaten (1990) entgegengesetzt. Tunesien und Ägypten steuern gegenwärtig demokratisch einer verfassungsgebenden Versammlung zu. Aber in den arabischen Staaten werden erst deren Verfassungen offenbaren, genauso wie in der Türkei, wessen Geistes Kind künftig die Regierungsverantwortung übernimmt und von welcher Bedeutung Demokratie sein wird. Bei Libyen und dem Jemen waren bisher Stammesclans machtbestimmend und diese werden wahrscheinlich entstehende Machtvakuen wieder ausfüllen. Und in Syrien dürften, wenn das Assad-System fällt, islamistische Sunniten an die Macht kommen. Bisher garantierte die politische Herrschaft des Alewitten den verschiedensten religiösen Gemeinschaften, insbesondere den christlichen, schützend ihren Minderheitenstatus.

Bei Europa hat der Referent die Hoffnung und Zuversicht, hier könnten die Uhren anders gehen. Die abendländische geistesgeschichtliche Entwicklung mit ihren Errungenschaften von Humanismus und Technologie, könnten Christen und Moslems als Glaubende gemeinsam meistern, beleben und mitgestalten. Gemeinsam in einer Gesellschaft zu leben, in der die Trennung von Religion und Staat gegeben ist, lässt Bosnien-Herzegovina als Beispiel nennen. Seit Jahrhunderten leben dort die Bosniaken als Moslems. Als dieses Land von 1878 bis 1918 habsburgisch war, wurde auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens wie in Verwaltung, Erziehung, Architektur, ein Islam mit demokratischer Struktur eingerichtet. Der Islam wurde gleichsam strukturell „verkirchlicht“. So erhielt „Reis-I-ulema“, „das Oberhaupt der Gelehrten“ – gemäß österreichischem Recht – den Status eines Erzbischofs. Er wurde hier, unabhängig vom Staat, als Gegenüber institutionalisiert. Ein Modell, das für Europa Vorbildcharakter haben könnte. Muslime gilt es daher bei uns nicht durch Nebengesellschaften, Trennung und gegenseitige Verdrängung zu beheimaten, sondern durch ein gemeinsames Miteinander verantwortlich einzubinden: „Unsere Verantwortung als Juden, Christen, Moslems in Europa braucht keine Sieger, sondern bedarf des Siegs und der Wertschätzung humanistischer Grundwerte und der kritischen Schubkraft all seiner Bürger, ob gläubig oder nicht.“ Des Referenten Meinung nach wird daher „eine gemeinsame Entwicklung von Glauben und Wissen, von Religion und Gesellschaft, unsere europäische wie auch die globale Zukunft voranbringen bzw. bringen müssen!“